2. Das Kriegsende und die Zeit danach
Erinnerungen eines Zeitzeugen:
>>Gerade 14 Jahre war ich alt, als für unser Heimatdorf 
      die schwerste und traurigste Zeit der Dorfgeschichte anbrach. Bis dahin 
      hatte der Krieg das Dorf verschont, ohne Spuren zu hinterlassen. Nur die 
      so oft vorbeiziehenden Kolonnen von Zwangsarbeitern zu den Arbeitsstellen 
      der OT erinnerten uns, daß ein schrecklicher Krieg tobte. Sollten 
      wir vom Schicksal der Ostpreußen und Pommern verschont bleiben, von 
      deren grausigen Erlebnissen erzählt wurde? Aber auch für uns begann 
      in den ersten Maitagen 1945 eine schreckliche Zeit.
Die Festung Breslau war gefallen und in russischer Hand, der Geschützdonner 
      und das Knattern der Maschinengewehre war immer deutlicher zu hören. 
      Die Kampfhandlungen wurden von einigen Bürgern beobachtet, die von 
      der Sieben-Kurfürsten-Baude aus in Richtung Schweidnitz die drohenden 
      Geräusche vernahmen. Motorisierte Einheiten unserer Wehrmacht zogen 
      durchs Dorf. Sie führten kleine Sturmgeschütze mit. Unsere Fragen 
      nach dem Frontverlauf wurden nicht beantwortet, aber immer wieder hieß 
      es:
"Kommt mit, steigt auf unsere Lkws, laßt alles hier, damit ihr 
      den Russen nicht in die Hände fallt!" Vor diesen Tagen kamen auch 
      durchziehende Bauern ins Dorf, die aus der Gegend von Oels stammten. Sie 
      kamen mit Pferdewagen, beladen mit Kleinvieh und Säcken mit Lebensmitteln, 
      sogar Kühe wurden mitgeführt. Mein Vater mußte oft das Geschirr 
      der Pferde reparieren und unser Hausflur diente als Nachtlager für 
      die Flüchtenden.
Dann kam der 8. Mai 1945, ich werde diesen Tag niemals vergessen! Deutsche 
      Panzer rollten durchs Dort und die Panzersperre zwischen der Apotheke und 
      dem Lachmann-Haus, gegen die Russen gebaut, erwies sich als zu eng für 
      deutsche Panzer, sie wurde wieder abgebaut. Offiziere, die bei uns am Mittagstisch 
      saßen, eröffneten uns, daß in Kürze der Russe im Dorf 
      sein würde. Auch sie rieten uns, mit ihnen das Dorf zu verlassen, aber 
      wir taten es nicht.
Bis zum Nachmittag war es seltsam still auf den Straßen, erst so um 
      17 Uhr stand eine Gruppe deutscher Offiziere auf dem Hof bei Klesse. Sie 
      kamen mit Schwimmfahrzeugen und einem Sturmgeschütz. Da einige Dorfbewohner 
      schon weiße Fahnen aus den Fenstern gehängt hatten und auch an 
      der kath. Kirche eine blau/weiße oder gelb/weiße Fahne herabhing, 
      gab es scharfen Protest der Soldaten. Sie drohten mit Zerstörung der 
      Gebäude und mit der Erschießung des Pfarrers und der Hauseigentümer. 
      Es waren sehr bedrohliche Stunden für das Dorf. Die Fahnen wurden im 
      Umkreis der Offiziere wieder eingeholt und erst nach Abzug dieses Trupps 
      in Richtung Dorfbach kamen diese weißen Tücher wieder in die 
      Fenster. Jetzt konnte nur noch gebetet werden!
Von Heinrichau aus kamen die Geräusche des Krieges immer näher 
      und die Angst wohl aller Bewohner wurde immer größer. In den 
      Häusern verkrochen sich die Leute, allein in unserem hinteren Zimmer 
      drängten sich ca. 20 Personen. Ein banges Warten begann. Dann ein Klopfen 
      an der Tür. Ein polnischer Ostarbeiter, der meinen Vater kannte, verlangte 
      Einlaß. Meiner Mutter gab er den Rat, doch rote Tücher auf den 
      Tisch zu legen, es würde die Russen milder stimmen. Das Inlett eines 
      Oberbettes wurde dazu ausersehen, als Tischdecke zu dienen. Bei Kerzenschein 
      - elektrisches Licht trauten wir nicht einzuschalten - saßen wir zusammen. 
      Der Pole sprach von einer Liste, worin mehrere Einwohner benannt worden 
      waren, die sich schlecht zu den Ostarbeitern verhalten hatten. Diese Liste 
      sollte der Roten Armee übergeben werden. Ob es geschehen ist, kann 
      ich nicht sagen. Nach einiger Zeit verschwand der Mann wieder, er wollte 
      den Russen entgegengehen, gemeinsam mit einer Gruppe Ostarbeiter, Richtung 
      Wilhelmstal. Kurz danach ließ uns ein heftiges Kettengeräusch 
      zusammenschrecken. 20 bis 30 große russische Panzer durchfuhren ohne 
      anzuhalten unseren Ort, von Heinrichau kommend in Richtung Dorfbach. Gegen 
      22 Uhr erschrak uns ein Dröhnen an der Hintertür. Offiziere und 
      Soldaten stürmten ins Haus, trieben uns in einer Zimmerecke zusammen 
      und richteten ihre Waffen auf uns. Die Männer durchsuchten alle Räume 
      und das ganze Haus. Seltsamerweise versuchte ein Offizier uns zu beruhigen 
      und gab uns zu verstehen, daß nun der Krieg vorüber sei. Noch 
      an diesem Tag sollte Stalin sprechen, die Männer wollten es per Radio 
      hören. Bald fuhr ein Auto vor das Haus, es wurden 2 Säcke mit 
      Walnüssen ausgeladen, aus der Apotheke brachte man Flaschen mit Spiritus 
      98%ig ins Haus. Mit Wasser verdünnt tranken die Russen dieses Getränk, 
      aßen die Walnüsse, die Weißwürste vom Schubert-Fleischer 
      und geröstetes Brot vom John-Bäcker. Diese Lebensmittel waren 
      eigentlich als Verpflegung der deutschen Soldaten gedacht, wurden aber nicht 
      abgeholt. Mein Vater mußte alles testen, man war sehr vorsichtig.
Nach Stalins Rede wurde die russ. Nationalhymne gespielt und die Soldaten 
      sangen stehend und barhäuptig mit. Währenddessen plünderten 
      andere Soldaten die Schränke und Kommoden in anderen Häusern aus. 
      Mein Großvater zeigte dies im Hinterhaus einem Offizier und - oh Wunder! 
      - er entschuldigte sich dafür und gab ihm ein Bündel Rubelscheine.
Im Morgengrauen wurden die Offiziere von Pkws abgeholt und wir waren erst 
      mal wieder allein im Haus. Diese erste Begegnung mit den Russen hatten wir 
      zwar mit Angst, aber auch mit Glück überstanden.
Beim John-Bäcker hatten sich Rotarmisten in der Backstube zum Schlafen 
      niedergelegt, an der Hanisch-Ecke stand eine Anzahl von Panjewagen, die 
      von kleinen Mongolenpferden gezogen wurden. Ihre Kutscher waren Mongolen 
      und Kirgisen. Auf der Straße hatten sie ein richtiges Heerlager errichtet. 
      Holzfeuer brannten und an Spießen wurden große Fleischstücke 
      gebraten. Die Pferde bekamen ihr Futter in Trögen, die kurz vor her 
      noch Schubladen in Schränken gewesen waren. Man hatte sie einfach aus 
      den Häusern geholt. Die nächsten Tage waren wohl die schlimmsten. 
      Immer wieder drangen betrunkene Soldaten in die Häuser ein, stahlen 
      was ihnen gerade gefiel und suchten ständig nach Frauen. In der Nacht, 
      ja selbst am Tage habe ich von der Reichenbacher Straße her Schreie 
      vernommen. Kleider der Großmütter, große Kopftücher 
      oder angeschwärzte Gesichter sollten etwas Schutz bieten. Eine Gruppe 
      von Frauen hatte sich im Abwasserkanal am Altenheim versteckt, wo das Wasser 
      übel roch und der Schlamm sich knöcheltief abgesetzt hatte. Meine 
      Mutter hatte Brote zusammengepackt und mein Vater mußte sie bei Dunkelheit 
      bei den Frauen abliefern. Wie lange dieses Versteck von Nutzen war, kann 
      ich heute nicht mehr sagen.
Mit Feuerwaffen ausgetragene Händel zwischen Polen hätte mir einige 
      Zeit später bald das Leben gekostet. Eine Kugel war durch das Fenster 
      des Schlafzimmers quer über mein Bett hinweg in die Tür zum Wohnzimmer 
      eingedrungen, dieser Schreck ließ uns alle in dieser Nacht nicht mehr 
      einschlafen. 
Ein Kochgeschirr und ein Kommissbrot hätte uns auch fast das Leben 
      ausgelöscht. Ein Verwandter aus Schweidnitz suchte seine Familie. Er 
      blieb bei uns und hatte diese beiden Teile auf dem Tisch abgelegt. Genau 
      zu der Zeit suchte eine russische Streife angeblich nach einigen deutschen 
      Offizieren. Sie durchsuchten alle Zimmer, fanden dabei Brot und Kochgeschirr 
      und glaubten natürlich, daß wir sie versteckt hätten. Wieder 
      wurden alle Hausbewohner in einem Zimmer zusammengetrieben. In eine Ecke 
      preßten wir uns, starr vor Schrecken und Angst, schreiend zusammen, 
      Großeltern, Mutter, wir Kinder und Verwandte. Ein Russe richtete seine 
      MP auf uns und drohte damit, uns zu erschießen, wenn die Offiziere 
      nicht gefunden würden. Aus dem Keller kommend, hörten wir Salven 
      von MPs, was unsere Angst noch steigerte. Wir befürchteten, daß 
      sich unser Vater dort versteckt hätte, es wäre schrecklich gewesen. 
      Ein gut deutsch sprechender Offizier kam gleich darauf ins Zimmer und gab 
      den Befehl "drin weiter so". Sollte dies unser Todesurteil sein? 
      Zu unserem Glück kam in dem Augenblick eine Russin ins Zimmer, stellte 
      sich vor die MP-Läufe und konnte die Soldaten dazu bewegen, wieder 
      abzuziehen. Lähmendes Entsetzen hatte uns erfaßt. Der Keller 
      bot uns ein Bild der Verwüstung. Wir haben später über 70 
      Einschüsse gezahlt.
Ähnlich erging es uns, als uns ein polnischer Offizier des nachts erschießen 
      wollte, der eine Frau aus der Nachbarschaft suchte. Mein Vater mußte 
      beim Suchen helfen, immer mit der Pistole im Rücken. Zum Glück 
      konnte ein Mann der OT nicht entdeckt werden, den mein Vater versteckt hatte. 
      Die Leute der OT waren ja besonders bei den Polen verhaßt.
Beim Erzählen einer weiteren Episode läuft mir noch heute ein 
      Schauer über den Rücken, wenn ich an diese Begebenheit denke. 
      Meinem Vater, der sich an jenem Abend in der Gastwirtschaft Hausdorf aufhielt, 
      sollte ich eine Weckuhr überbringen. Es war schon Sperrstunde. Ich 
      kam auch gut dort an, klopfte ans Fenster und plötzlich stand ein Milizionär 
      hinter mir. Er versetzte mir einen Schlag auf den Kopf und meine Mütze 
      flog auf den Boden. Er forderte mich auf, sie aufzuheben. Ich erkannte meine 
      Situation sofort, daß er mir viel gefährlicher an's Leder wollte, 
      als nur nach meinem Hiersein zu fragen. Ich drehte mich um und rannte, wie 
      von Hunden gehetzt, die Straße entlang bis an die Hanisch-Ecke. Eine 
      Salve aus einer MP erreichte mich gottlob nicht, die Kugeln schlugen in 
      die Hauswand des Brauerei-Gebäudes. Ich habe am nächsten Tag die 
      Einschüsse gesehen, es hätte mich am Unterleib erwischt. Nur meinen 
      Ortskenntnissen verdanke ich meine Rettung. Ich rannte also quer über 
      die Straße, hinein in den Garten von Gellrich-Bäcker, sprang 
      über den Zaun auf unseren Hof. Schweißgebadet erreichte ich unser 
      Haus; ich war gerettet und in Sicherheit.
...
Vieles könnte noch geschrieben werden, wohl jeder hat Übles erfahren. 
      Jetzt, 50 Jahre danach ist die Erinnerung noch wach und sie wird schmerzlich 
      empfunden. Das alles verdrängen? Ich könnte es nicht!<< 
          
