Brauchtum & Geschichten - Haus eines Leinwandkaufmanns

Wie das bürgerliche Leben im Haus eines Leinwandkaufmanns aussah, zeigt uns folgende Beschreibung aus "Das alte Wüstewaltersdorf" von Dr. R. Gottwald. - Es ist das Leben der wohlhabenden Kaufleute. Die einfachen Leute, Weber und später die Fabrikarbeiter, wohnten in kleine Häusern mit einer Stube, in der sich das gesamte Leben der Familien abspielte. Oder später dann in den Fabrikwohnungen, die zwei kleine Zimmer hatten.

 

>> Der Unterstock eines solchen Hauses war (von Stein) massiv, der obere von Bindwerk. Der Hausflur mit Vorder- und Hintertür geräumig, weit darin die Verpackung der Leinwand, Wägen, Plombieren, Pressen usw. vorgenommen wurde. Gewöhnlich linker Hand lag ein großes Eckzimmer mit drei Fenstern nach der Straße und zweien nach dem Garten. Dies war das allgemeine Wirtschafts-, Wohn-, Gesellschafts- und Geschäftszimmer. Daneben ein kleines Zimmer, das "Stübel"; hier schliefen Herr und Frau nebst den kleinen Kindern; ein kleiner Schreibtisch genügte für die ganze Buchhalterei, und ein kleines Wandschränkchen für die Kasse. An das Stübchen stieß die Küche, die weiter nichts enthielt als einen Herd, worauf ein Wasserkessel stand; einen besonderen Luxus bildete vielleicht noch ein Oefel zum Kaffee brennen. Hinter der Küche stand der Backofen, der außer zum Brotbacken auch als Bratofen diente - damals wurden alle Braten zum Bäcker geschickt - denn Kochöfen gab es zu jener Zeit in dieser Gegend noch nicht.

 

Der andere untere Teil des Hauses enthielt einige gewölbte Räume, die zur Aufbewahrung von Leinwand und deren Appretur dienten. Unter diesen Gewölben befand sich der Milchkeller und der Keller für Naturalien.
Der obere Stock des Hauses war ein großer, leerer Flur, der hauptsächlich dazu diente, bei schlechtem Wetter die von den Webern abgelieferte Leinwand abzutrocknen. Die Seiten- und Dachräume bildeten Kammern, worin das weibliche Dienstpersonal und die größeren Kinder schliefen während das männliche Dienstpersonal in den Ställen schlief. In diesem Oberstock des Hauses befand sich auch als besonderer Luxus die "gute Stube", in der die Raritäten der Familie aufbewahrt wurden. Es standen darin je nach der Größe einige Gastbetten, hoch getürmt, daß große Geschicklichkeit dazu gehörte, hineinzusteigen, noch mehr aber gehörte Kunst dazu, sich in den wie Wollsäcke vollgestopften Betten, ohne herauszufallen, schwebend zu erhalten. Dieses Zimmer wurde nur bei großen Feierlichkeiten geöffnet und benutzt, wie Taufen, Hochzeiten und Kirmesgesellschaften. Daher war es der Tummelplatz von Wanzen, Schwaben und Mäusen.

 

In der unteren grossen Wirtschaftsstube wurden alle häuslichen, geschäftlichen und geselligen Verrichtungen, wie Waschen, Buttern, Essen, Trinken usw., vorgenommen, kurz, alles was zum Leben gehörte. Darin standen zwei Tische von Ahornholz, ein kleiner und großer. Der kleine war für die Familie bestimmt, für Herrn, Frau und Kind; der große für die Mägde und Knechte zum Frühstück, Mittagbrot und Abendessen. Es gehörte zur Ordnung, daß diese Tische nach jedem Gebrauch blank abgescheuert wurden.
Das weibliche Dienstpersonal hieß "Menscher", das männliche "Kerle". Wenn der Herr etwas verlangte, sagte er: "Ruf mer's Mensch!" oder "Ruf mer a Kerl!" "Ruf mer a Knecht!" war für diesen beleidigend.

 

In der Stube befand sich auch ein großer Ofen, dieser war unten gepflastert und sonst ein Hohlraum ohne alle Züge. In ihm wurde in großen irdenen Töpfen für Menschen und Vieh gekocht, das Feuer nicht von gespaltenem Holz, sondern soweit es nur der Ofenraum erlaubte, von Klafterscheiten, wie sie aus dem Walde kamen, angefacht.
Es gehörte eine besondere Aufmerksamkeit dazu, das Kochen in den Töpfen zu regulieren, nämlich sie bald näher, bald weiter, je nach der vorhandenen Hitze, an das Feuer heranzubringen. Hierzu gehörte die "Ofengabel", eine zweizinkige Gabel in der Größe einer Hand, mit einem hölzernen Stiel versehen, gleich einer Heugabel. Mit ihr wurden die Henkel der Töpfe je nach Bedürfnis dem Feuer näher oder weiter gebracht, mit ihr auch der Topf mit den fertigen Speisen aus dem Ofen gezogen.

 


Das Haus mit Emporstübel aus anderer Sicht, vorn die
Dorfstrasse, neben dem Haus die Knillmann-Linde

In jedem Haufe befand sich fast immer eine alte Frau als Inventarienstück, oft noch von Großvaterszeiten her als dagebliebene Kinderfrau. Dieser Art Frauen war in der Regel die Ofenkocherei und die Handhabung der Ofengabel übertragen. Man nannte sie - gar nicht in böser, sondern gemütlich humoristischer Weise - die "alte Hexe".
Der Ofen war mit Bänken umgeben, auf denen des Abends die Mägde saßen und spannen. Am Tage dienten diese Bänke zum Anrichten des Essens. Wenn am Abend das Vieh im Stalle versorgt war, mußten die Mägde sich auf die Ofenbank setzen und spinnen. Die Beleuchtung zu dieser Arbeit bestand aus "Schleeßen" (Schleißen) von Buchenholz; das waren mit einem besonderen Hobel gefertigte, 1/8 Zoll dicke Holzstreifen. Diese Schleißen waren früher ein besonderer Handelsartikel, und es gehörten einige Kenntnisse dazu, sie anzufertigen, Denn wenn ein Span gut brennen sollte, kam es darauf an, auf welcher Seite man ihn anzündete, auch auf die Längenjahre des Holzes, nach welcher Richtung der Span geschnitten werden mußte. Man war der Meinung, daß ,,Schleeßenlicht" nicht zünde und ging mit dem brennenden Holzspan in allen Ställen und Böden herum. Um zur Beleuchtung den Holzspan festzuhalten, hatte man eine hölzerne Stange mit einem Fußgestell und einer eisernen Klammer, in welche die "Schleeße" eingelegt wurde, den "Schleeßenlechter" (Schleißenleuchter).

 

Licht und Feuer wurde gemacht, indem man mit einem Feuersteine aus einem Stück Stahl Funken schlug, diese auf fein zerteilte, aus verglimmten leinenen Lumpen gewonnene (in dem "Pulvernäppel" befindliche) Kohle fallen ließ, an der man, wenn sie ins Glimmen geraten war, einen Schwefelfaden anzündete. Zur Herstellung der Kohle diente auch verfaultes Weiden- oder Buchenholz. Der Stahl, an dem Feuer geschlagen wurde, war am Ofen in die Wand eingemauert. Beim Feuerschlagen hielt man das Pulvernäpfchen darunter. Feuersteine, Schwamm und Pulverholz waren nicht unbedeutende Handelsartikel der Hausierer und Bettler.
Während der Spinnzeit, die bis nach 9 Uhr dauerte, durften die "Kerle" auch aus anderen Wirtschaften kommen, sich als Liebhaber zu den "Menschern" setzen, aber in aller Ehrbarkeit, und sich mit ihnen unterhalten, was sich aber größtenteils nur auf gegenseitiges anschauen beschränkte.
An der einen Seite des Ofens war ein stuhlhoher Sandstein eingefetzt, der "Ufasteen" (Ofenstein). Auf diesen Stein wurde des Abends der Sahn in einem Topfe aufgesetzt, um ihn in der Nacht so weit zu erwärmen, als notwendig war, den andern Morgen daraus Butter zu machen. Um den Ofen in der allgemeinen Stube hingen von der Decke herab Stäbe, die Latten trugen, um im Winter alle naß gewordene Wäsche, Röcke, Pelze, Stiefel usw. zu trocknen. Dieses Gestänge hieß das "Ofengezehe".

 

Im Herbst und Winter, während der kurzen Tage und langen Abende, war es Brauch, daß die Freundinnen der Hausfrau sich gegenseitig nachmittags um 3 Uhr zu einer Schale Kaffee besuchten. Sie brachten ihre Spinnrädel, Spillen und Rocken mit, Spannen und unterhielten sich. Solche Gesellschaften hießen "Rockengänge" und waren nichts anderes als die späteren Kaffeegesellschaften. Sobald es Abend wurde, gingen diese Gesellschaften wieder nach Haufe. Auf solchen Brauch bezieht sich auch der Reim:

Es dunkelt um die Wände,

Der Tag, der nimmt a Ende,

Es dunkelt um a Ufasteen,

Ihr Rockagänger, schert euch heem.


Zu jedem ordentlichen Herrenhause gehörte ein Söller, ein Ausbau auf dem Dache des Hauses. Auf dem Dächlein dieses Söllers drehte sich eine Wetterfahne in Gestalt eines Hahns. In dem kleinen Raume wurden alle Hausbedürfnisse aufbewahrt, die nicht stockig werden durften, wie Holunderblüten, Kamillentee usw., besonders aber Käse. Aus Kuhmilch zusammengeschlagene Klumpen in runder Tellerform hießen Käse; kegelartig geformt, aus Ziegenmilch mit Kümmelsamen bereitet, hießen sie Quark.

 

Die "gewöhnlichen" Häuser damaliger Zeit waren von Holzbalken "geschroten", bloß zu ebener Erde und mit Schindeldach. In dem Dache war über der Haustür ein Stübchen besonders herausgebaut, das vorne auf zwei Säulen ruhte. Das Stübchen hieß das "Emporstübel" und diente hauptsächlich als Aufenthalt der Hausfrau, wenn sie in den Wochen lag. Der offene Raum darunter war mit Bänken versehen und zum Trocknen der Wirtschaftsgeräte bestimmt, im Sommer auch zur Ruhe für den Hausherrn, wenn er einmal ein wenig zuviel "gehoben" hatte.

 

Ein jedes der Häuser hatte einen Garten, d. h. eine Wiese mit Holzäpfeln- und wilden Birnbäumen bepflanzt. Durch sie führte ein Fußweg, der in einem Sommerhause endete. In der Mitte dieses mit Tür und Fenster versehenen Raumes stand ein Tisch, und an den Wänden waren Bänke. Dieses Häuschen wurde von der Familie im Sommer zum Frühstück, zum Mittagessen (damals Vesper genannt) und zum Abendessen benutzt; auf der Bank wurde auch wohl geschlafen, wenn es in der allgemeinen Stube vom Kochen, Buttern, Waschen usw. zu heiß und dunstig war.<<

 

Quelle: aus "Das alte Wüstewaltersdorf" von Dr. R. Gottwald,erschienen 1926,

Photos eigene