Brauchtum & Geschichten - Brautdiener/Hochzeitsbitter

In Wüstewaltersdorf war keine Hochzeit ohne einen Brautdiener denkbar. In anderen Regionen wird er auch als Hochzeitsbitter bezeichnet, die Aufgaben waren ähnlicher Natur. Am besten kann davon mein Grossvater erzählen, er war Brautdiener in Wüstewaltersdorf und beschriebt seine Erlebnisse in einem Artikel im Wüstewaltersdorfer Heimatboten (ca. 1964):

 

>>Durch meinen Beruf (als Schlosser bei WH&W) und durch das Bedienungmachen war ich im Dorf so bekannt, daß ich heute noch die meisten Familienverhältnisse kenne. In den Jahren dieser Tätigkeit habe ich über 50 Hochzeiten als Brautdiener mitgemacht. Da waren Hochzeiten beider Konfessionen, bei Reichen und bei Armen, einfache Hochzeiten und Doppelhochzeiten, Hochzeiten mit und ohne Braut, sogar eine adelige Braut war dabei. Viele Kilometer bin ich dabei gelaufen. Wieviel Schüsseln und Teller zur festlichen Tafel mag ich dabei getragen haben und köstliche Getränke und Wein vorgesetzt? Freilich, damals machte mir das Laufen keine Beschwerden, heute ist das freilich anders.


Brautdiener Alfred Seidel
Aufnahme von 1925

Eine kleine Episode möchte ich dabei erzählen. Ich kam ins Hochzeitshaus und man beauftragte mich, mit dem großen Autobus den Bräutigam und die Gäste zu holen. Ich sagte: „Wo ist denn die Braut?" „Na, hier steht sie ja!" Ich sagte: „Nun, wollen Sie sich nicht etwas anziehen?" Sie stand mit hochgerafftem Rock barfuß, wie sie aus dem Kuhstall kam. Als ich mit dem Autobus abfuhr, rannte sie mit Seife und Handtuch hinunter zum Bach zur Morgentoilette. Auch diese Braut ist getraut worden und eine glückliche Frau und gute Mutter geworden — ohne den modernen Komfort und ohne das gepriesene Badezimmer mit allem Zubehör. Zu einer glücklichen Ehe gehört ein gutes Herz und eine fleißige Hand.<<


Über meinen Grossvater hat mir meine Tante noch weiter berichtet:
>>Als Brautdiener hatte mein Großvater die Aufgaben, das Brautpaar und die Hochzeitsgesellschaft zur Trauung abzuholen und in die Kirche zu geleiten. Dafür trug er seinen guten schwarzen Anzug, einen Zylinder und weiße Handschuhe. Wichtig war auch der weiße Kragen. Die weißen Krägen wurden der Frau der Bürgermeisterns, gewaschen, gestärkt,  speziell gebügelt und in Form gebracht. Sie war im Dorf bekannt für diese Arbeit. – Zurück zur Hochzeit: nach der Trauung half mein Großvater beim Bedienen der Gesellschaft und war auch für die Unterhaltung zuständig. Er sang sehr gut (war auch als Tenor Mitglied des Gesangvereins „Concordia“), so trug er Couplets vor und andere Lieder.
Eine Geschichte zur Kriegszeit soll noch erzählt werden. Mein Großvater war auf dem Weg  zu einer Hochzeit. Ein junger Mann hatte Heimaturlaub von der Front und wollte seine hochschwangere Verlobte heiraten. - Auf der Stengelbrücke kam ihm der Brautvater mit einem Pferdegespann entgegen und meinte, mit der Hochzeit würde es wohl nichts werden. In der Nacht hatte die Braut unerwartet ihr Kind bekommen. – Für meinen Großvater war dies aber kein Problem, er meinte zum Brautvater, das richten wir schon. Er organisierte den Standesbeamten und den Pfarrer und alles begab sich ins Haus der Brauteltern. Die Braut bekam im Bett ihr Hochzeitskleid angezogen und die Trauung fand im Schlafzimmer statt. Die Hochzeitsfeier mit den Gästen fand dann im Stockwerk darunter im Hause statt, die Braut konnte vom Schlafzimmer aus dem Geschehen folgen. Es wurde dann doch noch eine recht fröhliche Feier. – Sehr erschüttert war dann mein Großvater, als er 4 Wochen später erfuhr, dass der Bräutigam an der Front gefallen war. Darüber ist er lange nicht hinweg gekommen.<<