Die Zeit unter den Polen bis zur Ausreise 1950

Erinnerungen meiner Familie:

>>Als die 1946 und 1947 große Welle der Vertreibungen begann, blieben die Großeltern mit ihren Kindern davon "verschont", da mein Großvater in der Fabrik gebraucht wurde. Aber es traf sie hart, sehen zu müssen, wie Verwandte und Freunde nach und nach gehen mussten.

 

Einer der größten Trecks war am 19. August 1946. Wer wusste, dass er irgendwann gehen musste, versuchte, in diesem noch mitzukommen. Es war der letzte, der noch in den "Westen" ging. In diesem Treck sind viele der Verwandten gewesen, die Schwester meiner Großmutter mit ihren 4 Kindern, ihre Mutter, ihre Schwägerin, die beiden Schwester meines Großvaters. Die Männer der Frauen waren schon im "Westen", sie waren nach der Kriegsgefangenschaft dorthin entlassen worden und durften janicht nach Schlesien zurück. Auch die Verwandten aus der Kaserne waren dabei.


Meine Großeltern nahmen dann die Mutter meines Großvaters auf, die zuvor bei ihrer Tochter in Zedlitzheide lebte. Der Treck wäre für sie zu anstrengend gewesen, sie war schon seit Jahren blind. - Mit diesem Treck war das Haus in Zedlitzheide, indem meine Großmutter und auch mein Vater geboren wurden, "geräumt". Es wurde dann sofort von Polen belegt.


Am 1. August 1948, zum Kirchweihfest, war von den 2.800 Wüstewaltersdorfer nur noch ein Häufchen von ca. 50 übriggeblieben - ein handvoll Familien, deren Männer hauptsächlich in der Fabrik arbeiteten.


Aber auch die Frauen versuchten Arbeit zu finden, meine Großmutter wusch Wäsche für die Polen, meine Tante putzte erst bei den Polen, dann fand sie eine Stelle als Kindermädchen bei einer polnischen Familie, die sich im Kasino niedergelassen hatte. Ohne Arbeit gab es keine Lebensmittelmarken!

 

Mein Vater arbeitete zunächst auf dem Hof des Seiler-Bauern im Dorf, nachdem der Hof abgebrannt war, konnte er in der Fabrik arbeiten. - Auch meine Tante (sie war bei der Ausreise 1950 erst 17 Jahre alt), versuchte immer Arbeit zu finden. Zudem war da noch die Oma, die mitversorgt werden musste. Sie bekam ja keine Zuteilungen. - An Schule und Ausbildung war für meine Tante und meinen Vater nicht zu denken, deutsche Schulen gab es nicht mehr. Mein Vater musste, als er eingezogen wurde, seine Ausbildung abbrechen. Ein Weiterführen nach Kriegsende war unmöglich. - Es war nur noch wichtig, Arbeit zu haben und somit genügend Lebensmittel im Haus.

 

Auch in der Zeit bis 1950 gab es noch Übergriffe, immer wieder kamen Polen in die Wohnung und versuchten, Sachen zu stehlen. Es besserte sich erst etwas, nachdem sich mein Großvater beim polnischen Betriebsleiter des Werkes mehrfach beschwert hatte und er von diesem eine Art Beleg über seine Beschäftigung bekam, den sie dann an der Wohnungstür anbrachten. Dadurch sollten weitere Plünderungen der Wohnung verhindert werden.

 

Diese Zeit war für die Familie recht schwer, sie fühlten sich auf einmal wie fremde in ihrem alten Dorf. Irgendwie gaben aber meine Großeltern die Hoffnung nicht auf, ihrer Familie und Verwandten einmal in der Heimat wiederzusehen (wie ich in alten Briefen nachlesen konnte).

 

Der Antrieb für die Ausreise kam von meinem Vater und meiner Tante, 1950 waren sie 21 bzw. 17 Jahre alt. Sie dachten an ihre Lebensplanung und konnten sich das weitere Leben unter der Polen nicht mehr so recht vorstellen. Auch wurde ihnen klar, dass sich politisch nichts mehr ändern würde. Ihre alte Welt war unwiderruflich verloren. - Ende August 1950 gingen die beiden nach Waldenburg "aufs Amt" und beantragten die Ausreise. Die Papiere mussten von der Fabrik in Wüstewaltersdorf unterschrieben werden. Dort schummelten sie ein wenig, und erzählten, das alles ja noch lange dauern würde. Tatsächlich, sie erhielten die benötigten Unterschriften - die Ausreise war genehmigt. Der Termin kam dann, wie die beiden schon wussten, recht schnell innerhalb von zwei Wochen. Mitte September sollte es losgehen.

 

Den Sonntag zuvor gab es noch ein Treffen der letzten deutschen Familien, um sich zu verabschieden. Sie verabredeten sich in der Birkenfeldbaude. Diese war zu diesem Zeitpunkt sehr heruntergekommen, die Fenster hingen in den Angeln und der Wind pfiff hindurch. Die Eigentümer waren schon vertrieben. Da Treffen der deutsche Familien verboten waren, gingen sie alle einzeln, auf verschiedenen Wegen zu die Treffpunkt. Mein Großvater blies Lieder auf einem Kamm, die Jüngeren tanzten dazu. Es war ein Abschiednehmen vor der Heimat, meine Großeltern haben sie danach nie wieder gesehen.

 

Bei der Ausreise durfte die Familie 900 kg an Gepäck und Hausrat mitnehmen. Mein Großvater organisierte einen Lastwagen der Firma, auf diesen wurde alles verladen. Vor Abfahrt des Lastwagens wurde es noch einmal abenteuerlich: mein Vater und meine Tante versteckten noch meinen Großvater unter dem Hausrat. Sie hatten die nicht ganz unberechtigte Angst, dass ihn die Polen noch vom Lastwagen holen würden. Der Betriebsleiter der Fabrik war nicht gerade "begeistert", dass die Ausreise auf einmal so schnell erfolgte und wollte meinen Großvater eigentlich noch länger dabehalten. Aber die Papiere waren unterschrieben, und somit war die Ausreise legal. - In Waldenburg wurde alles in einen Güterwaggon verladen. Die Familie durfte, im Gegensatz zu den vielen Vertriebenen Jahre zuvor, sogar in einem Personenabteil reisen.

Am 27.9.1950 trafen sie im Flüchtlingslager Friedland in Westdeutschland ein.<<