2. Kriegszeit, Volkssturm und Evakuierung
Bericht einer Zeitzeugin:
>>An den ersten Gefallenen in unserem Ort kann ich mich genau erinnern;
es war Gottfried Schubert. Spätestens als diese unbegreifliche Nachricht
sich wie ein Lauffeuer verbreitete, hatten wir begriffen, was es heißt
"Krieg"!
Als dann der Krieg im kalten russischen Winter tobte, wurden alle Skier
für unsere Soldaten gebraucht. Ich erinnere mich deshalb daran, weil
es eine freiwillige Aktion war, aber keiner hätte sich ausgeschlossen.
Auch ich nicht, obwohl meine Skier noch nagelneu waren und ich sie noch
nicht einmal ausprobiert hatte.
An die "Gestreiften" (jüdische Häftlinge, Anm. d. Red.),
erinnere ich mich, dass sie eines Herbstes auf dem Bahngelände standen,
dort, wo es an unser Grundstück grenzt. Wir haben hinten im Garten
Kartoffeln ausgemacht. Sie standen mit bittend erhobenen Händen da
und wir schmissen immer wieder ein paar Kartoffeln oder auch Äpfel
zu ihnen hin und kamen uns dabei vor wie Volksverbrecher - dank unserer
"Erziehung". Trotzdem - die christliche Grundhaltung überwog
doch und darüber bin ich heute noch froh.
Die Klassen der Hauptschule, in die auch inzwischen meine Schwester ging,
mussten im Winter Reisig schneiden für Gräben und Schutzwälle,
und außerdem Hagebutten sammeln, die in Gemeinschaftsarbeit in den
Klassenzimmern ausgepult werden mussten; dabei wurde dann den Schülern
vorgelesen.
1944 kamen regelmäßig Männer der O.T. zu uns ins Geschäft
und hielten gerne ein Schwätzchen. So wussten wir, dass sie zusammen
mit einem Haufen Kriegsgefangener und wohl auch Zwangsarbeitern den Uhlenberg
und den Wolfsberg aufbuddelten oder auch untertunnelten. Die Geheimhaltung
aber war so perfekt, dass niemand etwas Konkretes wusste. - Noch heute wird
daran herumgerätselt. Die verschiedensten Spekulationen sind im Umlauf;
aber etwas genaues weiß immer noch keiner. Die Männer der O.T.
(Organisation Todt) waren Techniker und Ingenieure, einer war Professor
aus Hamburg; aber sie sagten kein Wort und wir fragten dann auch nicht mehr.
Mein Vater wurde kurz vor Kriegsende noch zum Volkssturm eingezogen.
Da gab es auch einen Befehl: Mütter mit kleinen Kindern und werdende
Mütter müssen das Dorf verlassen. Ich fuhr deshalb hochschwanger
zu meinen Verwandten nach Sachsen. Die Fahrt war sehr beschwerlich und dauerte
fast vier Tage. Am 13. Februar 1945 erreichten wir Dresden. Der Bahnhof
war voll von Flüchtlingen. Es grenzt schon an ein Wunder, dass ich
in der Abenddämmerung doch noch die Stadt verlassen konnte, denn bald
danach begann das Inferno, die Stadt wurde vollkommen zerstört und
mit ihr alle die vielen Menschen. - Dresden wurde ein Schauplatz des Grauens
-.
Auch ich kann berichten, dass kurz vor Kriegsende die älteren nicht
mehr wehrfähigen Männer zum Volkssturm eingezogen wurden. Auch
Jugendliche, die noch nicht wehrfähig waren, kamen zum Volkssturm.
Ende 1944, Anfang 1945 wurden jüngere Frauen und ältere Männer
zum "Unternehmen Barthold" an die polnische Grenze beordert, darunter
auch mein Vater, Alfred H., Schwerbeschädigter aus dem 1. Weltkrieg.
Die Frauen und Männer mussten Panzergräben ausschachten. Bis kurz
vor dem Russeneinmarsch waren sie im Einsatz und die Wüstewaltersdorfer
kamen noch vor den anrückenden Panzern mit heiler Haut davon.<<